Realitätsverlust ist eines der Probleme, mit denen "Europa" zu kämpfen hat. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird das Zukunftsmodell Europa mit seiner Wachstumsperpektive propagiert. Wachstum, ja, aber es war Wachstum auf Pump. Von Politikern erzeugte Illusion einer anzustrebenden heilen Welt, die in Spanien einen Namen trug, den man heute nicht mehr ertragen kann: "Estado de bienestar / Wohlfahrtsstaat".
Stellvertretentend für alle, die das gleiche Anliegen hatten, heißt das heute in seiner aktualisierten Form: "Estado de sufrimiento / Leidensstaat".
Es ist aber nicht der Staat, der vorrangig leidet, es sind die Bürger, die hungern, frieren, keinen Arbeitsplatz haben und sich in dem "Estado de bienestar / Wohlfahrtsstaat" ein Leben lang verschuldet haben.
Es sind die Großeltern, die für ihre Kinder gebürgt haben, damit sie das konstitutionelle Recht auf eine eigene Wohnung verwirklichen können. Nunmehr werden diesen Großeltern die eigenen Wohnungen gepfändet, damit die Banken ihre Forderungen wenigstens teilweise befriedigen können.
Der weise Grundsatz, bürge für niemanden, sonst verlierst du alles, hat sich als richtig herausgestellt. Aber es gilt auch: Sei vorsichtig und misstrauisch, wenn es um Unterschriften geht, sie stehen für dein rechtsverbindliches Wort und sind Geld wert.
Damit sind wir beim zweiten Punkt des Versagens Europas: der Vertrauenskrise.
Wer den Politikern vertraut, läuft Gefahr, Verluste zu erleiden.
Weil in Deutschland mit der Agenda 2010 scheibchenweise die Gesellschaftsstruktur negativ verändert wurde, blieb die Schockwirkung bei den Bürgern aus. Man gewöhnte sich an reduzierte Einkommen und Renten, man wunderte sich nicht mehr, dass Zeitarbeit politisch verordnet und gesellschaftlich akzeptiert wurde. Nur manchmal, wie der "Fall Amazon" zeigt, geht ein Schrei durch das Volk, ohne dass dabei klar und deutlich gesagt wird, dass diejenigen, die das Tor zur Hölle öffneten, auch für eine Weiterführung der Idee verantwortlich sind.
Die Vertrauenskrise hat aber auch externe Komponenten, die in der Mentalität anderer EU-Staaten begründet ist. Als Beispiel sei Zypern, Griechenland und Spanien genannt.
Wenn die Vertraueneskrise in Spanien genannt wird, sollte man auf die Immoblienblase hinweisen. Hier wurden zur Gewinnmaximierung hoch spekulative Käufe vorgenommen, die nicht nur von Großanlegern getätigt wurden. Der "einfache Mann" beteiligte sich daran und versuchte, sein schnelles Geld zu machen.
Und beim "schnellen Geld" sind wir im Bereich der Korruption, der Steuerhinterzeihung, der Schwarzarbeit, der doppelten Rechnungen in Geld A (deklariert) und Geld B (schwarz), den aufgeblasenen Immobilienpreise, bei denen auch Staat und Kommunen kräftig verdienten.
Jeder kannte das System, auch der Staat, und seine Organe wie Polizei und Gerichte.
In diesen Tagen beschäftigt die Korruptionsaffäre spanische Bürger. Es ist aber nicht so, dass das niemand gewusst hätte. Nein, die Korruption ist Teil der Wirklichkeit in unserer Welt und auch in der Spaniens.
Schockiert ist man vor allem, weil die Gesellschaft in mehrere Komponenten gespalten ist: die Arbeitslosen (über 6 Millionen), die noch arbeitslos werden, die am Rande des Existenzminimums leben, die Reichen, die Superreichen, die Politikerklasse und das Königshaus.
Nunmehr entzieht das Volk den Politikern und dem Königshaus das Vertrauen und der möglicherweise begründete Korruptionsverdacht steht im Raum. Aber diese Korruption ist nicht losgelöst von der Gesellschaft zu sehen, die ist und war ein Teil von ihr.
"Auch das Vertrauen in die Reformregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy ist angekratzt. Der Regierungschef selbst steht im Mittelpunkt einer Schwarzgeldaffäre. Er soll illegale Zahlungen angenommen haben. Rajoy weist die Vorwürfe zurück und will im Amt bleiben - erst mal.
Das alles macht Spanien zum Wackelkandidaten in der Euro-Krise. "Es ist noch nicht vorbei", schrieben die Experten der Schweizer Großbank UBS jüngst in einer Landesstudie. Wenn die Sparvorgaben für Spanien nicht gelockert würden, werde die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession rutschen. "Um den Schuldenstand zu stabilisieren, müsste sich das Wachstum kräftig erholen", schreiben die Experten. Das sei angesichts der Sparmaßnahmen, der hohen Arbeitslosigkeit und der anhaltenden Entschuldung des Privatsektors aber unwahrscheinlich.", schreibt der Spiegel.
Ministerpräsident Rajoy meint:
"(...) sembrar la idea de que España es un país corrupto es 'profundamente injusto', (...) 'Yo, como todos ustedes, estoy dispuesto a perseguir la corrupción donde aparezca, pero -ha precisado- no podemos permitir que se escriba, otra vez de España, una leyenda negra'."
(Die Idee zu säen, dass Spanien ein korruptes Land sei, ist `zutiefst ungerecht'. (...) 'Ich, wie Sie alle, bin bereit die Korruption zu verfolgen, wo sie erscheint, aber -hat er klar gestellt- wir können nicht zulassen, dass man nochmals über Spanien eine
Leyenda Negra schreibt.)
Die Fassade bröckelt
http://caitmuileann.blogspot.com.es/?zx=bbe47efd62dac459
Das nennt man Schadensbegrenzung und gleicht dem Kampf Don Quijotes, nicht gegen die Windmühle, sondern gegen sich selbst.
Was sollte sich in Spanien durch Wirtschaftswachstum ändern, wenn es bald selbst in Deutschland kein Wachstum mehr gibt.
Unsere nationalen und EU-Politiker sind schon lange zu Quijotes der heutigen Zeit mutiert, die der Illusion nachjagen und sich immer weiter von der Realität entfernen. Es geht nicht mehr um politische Gestaltung sondern um unkontrolliertes Herumtaumeln und dem Vorgaukeln, man habe alles im Griff.
Die Welt und mit ihr Europa können besser werden.
Sie haben aber auch das Potential der Verschlechterung bis hin zum Verfall.
Wir Bürger lassen das Eine oder das Andere zu.
(1)
Don Quijote
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"Und übrigens meine ich, dass
unfähige Politiker Krisen verursachen."