Politik hat u.a. die Aufgabe gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu initiieren und sie weiter zu entwickeln. Eine Gesellschaft, die stagniert oder sich im extremsten Fall zurückentwickelt, driftet zwangsläufig in den Zerfall.
Die Entwicklungsprozesse sind aber nicht gleichzusetzen mit wirtschaftlichem Wachstum. Eine Gesellschaft muss auch entwicklungsfähig sein, wenn sie sich nicht in dieser Hinsicht entwickelt, sondern auch im Bereich des sozialen Miteinanders, der gegenseitigen Wertschätzung und in der Verteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Vermögen.
Politik hat ebenfalls die lang vernachlässigte Aufgabe, diesen Verteilungsschlüssel zu entwickeln und in Gesetze zu fassen, damit alle Mitglieder, auch die sozial Schwachen, an Wirtschaftsleistungen partizipieren können.
Sollten aufgrund der Rezession gesellschaftspolitische Umbauprozesse stattfinden, so müssen alle gesellschaftlichen Gruppen daran beteiligt werden und vor allem diejenigen, die in einer Gesellschaft besonders gut gestellt sind.
In Deutschland haben diese Umbauprozesse in den letzten 10 Jahre zwar stattgefunden, doch wurde die Verteilung zugunsten der Unternehmen vollzogen, die einerseits höhere Gewinne einfahren konnten und andererseits in der EU- / Weltwirtschaft durch verringerte Lohnstückkosten sehr gute Absatzmöglichkeiten fanden.
Auf der anderen Seite standen die Arbeitnehmereinnahmen auf der Verliererseite, weil ihre Lohnzuwächse meist unter der nationalen Inflationsrate (die Deutschlands) lagen und die Renten, Pensionen und Hartz 4-Sätze real rückläufig waren.
Im europäischen Vergleich lagen die Einkommenszuwächse in der Bundesrepublik Deutschland auf der Verliererseite.
Am Beispiel Spaniens, das zur Zeit um das Defizitziel für 2012 bangt (FTD), lässt sich leicht aufzeigen, dass die Problematik weniger in der absoluten Betrachtung der desolaten Wirtschafts- und Finanzsituation liegt, sondern in einer erworbene Haltung, die sich von derjenigen Deutschlands grundlegend unterscheidet.
Wichtig ist jedoch, dass jede erworbene Haltung, auch die der Bundesrepublik Deutschlands, nicht ewig gilt sondern situationsspezifisch im richtigen Moment geändert werden muss. Das ist die Aufgabe von Politik.
In dem o.a Artikel der Financial Times Deutschland im Gespräch mit dem spanischen Haushaltsminister Montoro geht es teils polemisch nach dem Grundsatz: Angriff ist die beste Verteidigung. Er verweist auf den Bruch der EU-Finanzreglen im Jahr 2003 durch Frankreich und Deutschland.
Montoro kann zwar für diese Zeit in Spanien auf eine sehr gute wirtschaftliche Lage hinweisen, solle aber fairer Weise im Hinterkopf behalten, dass der damalige, fremdfinanzierte Boom aus dem Immobilien- /Spekulationsbereich der Grund ist für die desolate heutige Situation Spaniens mit über 22% Arbeitslosigkeit, der Verschuldung des Zentralstaates, der Autonomen Regionen, der extremen Verschuldung der Privathaushalte und des Bankensektors.
Dass man in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht in Spanien in Kategorien der González - Aznar - Zapatero-Ära denkt, mag bedenklich stimmen. Insofern steht die Rajoy Regierung, auch wenn sie als konservativ zeichnet, in dieser Tradition:
„Aber in Europa 'geht es nicht allein um operative Normen'. Den Bürgern einer solchen Union müsse es besser gehen als zuvor. "Wachstum ist entscheidend." meint der Minister in der FTD.
Damit spielt er auf den Begriff des „bienestar“ an, der zum Flügelwort der pseudo-wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens geworden ist.
Die Gesellschaft sollte sich im Sinne des immer wachsenden Wohlstandes weiterentwickeln, unabhängig, wie sich zeigt und über alle Parteiunterschiede hinaus.
Das ist das Denken nicht nur eines der EU-Mitgliedsländer, die in dem Konstrukt eine heibringende Wirkung sahen, die ihre Kraft vielfach nur aus Transferleistungen, Krediten und Spekulationsgeschäften der riskanten Art generierte.
Ganz unabhängig davon versteckt sich im Hintergrund ein nationales Denken und das Bewußtsein, dass die Mitgliedsstaaten Europas nicht in einer Symbiose sondern in einem parasitären Verhältnis leben.